Andreas Steiner

Arzt, Schriftsteller, Philosoph

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Poesie...

Monday, January 20, 2014

Regenbogen im Thurgau

Regenborgen im Thurgau

Poesie ist der Ausdruck eines Hervortretens des Transzendenten, sie ist innerste Lebensregung. Was das Transzendente an sich ist, lässt sich jedoch nicht beschreiben, nicht personifizieren.

Wenn wir versuchen, über das Transzendente (bzw. über das ‚Göttliche‘) eine Aussage zu machen, bezieht sich diese Aussage meistens auf etwas, das in unserem Vorstellungsvermögen entstanden ist: wir schaffen eine Metapher für das Eigentliche. Viele von uns glauben, Metaphern seien Wirklichkeit. Damit zwingen sie Allmächtiges, Ewiges, Allgegenwärtiges in das menschliche Vorstellungsvermögen herab: sie schaffen Bildnisse, wovon es keine Bildnisse geben kann! Derartige Bildnisse minimisieren in unserer Vernunft das Gewahrwerden des Eigentlichen, sie entthronen es! Es wäre besser, wir liessen sein, was an sich ist: in ihm steckt Kraft, an der jeder von uns Anteil hat, ob er will oder nicht. Anteilnahme am Transzendenten, bzw. am Göttlichen gibt uns Lebenssinn.

In einem Augenblick, der wie eine Erleuchtung über uns kommt, werden wir dieser Anteilnahme gewahr. Ob wir das, dessen wir gewahr werden, als ‚göttlich‘ erkennen, hängt von unserer Bereitschaft ab, es so anzunehmen, wie es an sich ist. Wir sind frei, es auch als Gefühlsduselei abzutun, und uns weiterhin, als wäre nichts geschehen, dem täglichem Kleinkram zu widmen.

Das Transzendente (‚Göttliche‘) hat auf unsere Glückseligkeit Einfluss. Ohne unsere Anteilnahme am Transzendenten wirksam werden zu lassen, würden wir aufhören, in uns selbst zu ruhen. Wir fühlten uns, als würden wir innerlich getrieben, ohne zu wissen, warum inneres Getriebensein uns zu schaffen macht.

Unsere Anteilnahme am Transzendenten, am Göttlichen macht sich kreativ bemerkbar. Es entsteht, was wir verallgemeinernd ‚Poesie‘ nennen können: ein Gedicht, eine Erzählung, ein Musikstück, ein Gemälde, eine Plastik, ein architektonischer Bau, ein handwerkliches Meisterwerk, ein genialer naturwissenschaftlicher Gedanke, eine Erfindung, eine mutige politische Entscheidung. An dem, was entsteht, zeigt sich, wie Transzendentes manifest geworden ist.  

 

DIE UHR

Oh weh, zerfliesst ein andrer Tag 
dahin! Ist das der Abend schon? 
Liegt in dem schrillen Glockenton 
ein Sinn? Hat dieser Uhrenschlag 
ein Recht, zu dröhnen und zu melden, 
dass jetzt ein Teil des Schauspiels fertig sei, 
in dem wir hingestellt als Helden, 
als Machtbefugte, Schmeichler, 
Vagabunden, Händler, Diebe,
und als das biedere Einerlei?

Warum die Uhr, uns lärmend zu ermahnen, 
dass wir nicht ewig unser Leben planen?

Ein Sklave bin ich, von der Lust 
durch Jahre hin gefoppt, gehetzt. 
Ich leb in einer Welt 
des Zaubers und der Phantasie,
die, kaum bewusst, 
mich einlullt und zuletzt 
als Gaukelei zerfällt.

Ich gleiche einem Pferd,
das über fette Wiesen springt, 
das sich vor Gier dem Frass verwehrt. 
Wohl kitzelt es die satte Luft, 
doch unersättlich drängt 
das Tier von Duft zu Duft.

Auch ich, ich eile voller Ungeduld, 
von Lust zu Lust, von Schuld zu Schuld.

Ihr reisst euch wieder, Nebelschwaden, 
vom Wasser und den Mooren los. 
Ihr steigt, im Dämmerlicht zu baden, 
dieweil die Erde sinkt in euren Schoss. 
Die Stadt, der Wald, der Hügel fällt, 
ihr aber schwebt: ihr trinkt die Welt. 
Ihr streichelt jeden Baum.
Ihr spürt die Fülle 
durchlitt’ner Zeit,
wie unter jeder Hülle 
versteckt die Quelle
warmen Blutes schäumt, 
das arglos in den Sommer träumt.

Wie jene Blumen dort den Saft 
aus dem durchlebten Boden saugen, 
so sollten wir mit wachen Augen 
einschlürfen unsrer Erde Kraft. 
Sie bohren ihre Wurzeln in den Stein.
Sie wandern nie, sie schauen wenig nur 
des Lebens Wechselspiel und Fahnen, 
doch ist ihr Blütenduft und -schein 
so voller Schönheit der Natur, 
die wir, die Kelche pflückend, neidisch ahnen.

Die Turmuhr schlägt. Oh welche Fron:
schon wieder dieser Glockenton!

Mein innerstes Gemüt, 
das sich ergriffen fand, 
wird weggedrängt von den Gefühlen 
wird aufgehetzt, im Geld zu wühlen, 
zu herrschen über Mensch und Land. 
Maschinen ticken, Türme 
erobern steil das Himmelszelt, 
und ringsum wird zerhackt, zerschlagen 
und Schicht um Schichten abgetragen. 
Man quält, man plagt, was lebt und quellt. 
In Formeln presst man Herzensstürme, 
nach Formeln wird Lebendiges sortiert 
und schliesslich im Computer programmiert.

Wie sehr wir auch mit Messer, Zangen, 
mit Laserstrahlen das Lebendige zerteilen, 
es zu erforschen uns beeilen, 
um an den Ursprung zu gelangen, 
so sehr geht unseren Motoren 
das Eigentliche doch verloren.

Nur dem eröffnet sich der Geist,
der dessen Wirkenskraft nicht stört, 
der auf das leise Raunen hört, 
der jede Eile von sich weist.

Willst folgen du der Wahrheit Spur,
so lass mit kinderhaften Sinnen 
die Zeit an dir vorüberrinnen 
und bleibe, was du bist: Natur!